20 Jahre nach Srebrenica: Nie wieder Opfer
Zum Gedenken an den Völkermord in Srebrenica
Auch im Jahr 20 nach den Massakern in den Wäldern rund um Srebrenica müssen Mütter und Ehefrauen ihre Söhne und Männer bestatten. Das Leid der Familien ist täglich präsent. Nach wie vor werden Massengräber gefunden. Die Identität der Opfer kann zum Teil erst jetzt festgestellt werden.
Europa muss nicht nur um der Opfer willen ihr Schicksal lebendig halten. Dieser grausame Völkermord in Europa – das schwerste Kriegsverbrechen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – ist eine Mahnung, nicht nur das "Nie wieder Krieg" zu verfolgen, sondern auch dem Auftrag nachzukommen, der "Nie wieder Opfer" heißt. Das Schicksal der bosniakischen Opfer mahnt uns, sich ethnischem Hass und Gewalt entschieden entgegenzustellen.
Der Völkermord war auch Folge des Versagens der Vereinten Nationen und der europäischen Politik. Zu lange wurde eine friedensbewahrende UN-Mission in ein Land geschickt, in dem ein offener Krieg herrschte. Aus Angst vor den politischen Konsequenzen wurde die Aggression serbischer Freischärler mit Unterstützung der serbischen Armee verdrängt und von einem "Bürgerkrieg" gesprochen, während ein offener Krieg gegen Bosnien geführt wurde. So hatten schon etwa 100.000 Bosnier ihr Leben verloren, waren tausende von Frauen sexualisierter Gewalt ausgesetzt gewesen, bis der Völkermord in Srebrenica die internationale Gemeinschaft endlich wachrüttelte und das drei Jahre währende Morden beenden half.
Die Wunden von Hass und Gewalt, die binnen weniger Monate von außen in die bosnische Gesellschaft hinein getragen wurden, sind bis heute nicht geheilt. Zurück bleibt eine Bevölkerung, die sich ethnisch definiert, wo zuvor im multiethnischen Bosnien Zugehörigkeiten oft nicht einmal bewusst waren. Die Friedensordnung von Dayton, die zum Ziel hatte, den Krieg schnell zu beenden, hat diese ethnische Trennung jedoch zementiert. Sie ist mit ursächlich für die fehlende Funktionsfähigkeit des bosnischen Staates. Die politischen Eliten des Landes erhalten ihre Macht durch die Instrumentalisierung der Furcht "vor den anderen" und verstellen damit dem Land die Zukunft.
Die Unruhen vor wenigen Wochen in Mazedonien haben gezeigt, dass der Westbalkan durchaus wieder entflammt werden könnte. Zu lange ist Europa von der EU-Perspektive für die Region als einem „Selbstläufer“ ausgegangen. Das Engagement auf dem Westbalkan jedoch muss politischer werden, denn die Integration in die EU ist die einzig sinnvolle Friedensperspektive für die Region.
Hintergrund:
Marieluise Beck war im Juli 1995 in Tuzla vor Ort, als dort Frauen und Kinder aus Srebrenica eintrafen. Aus den Gesprächen mit den Flüchtlingsfrauen erfuhr sie, was in Srebrenica geschehen war.